„Wenn Seide atmet“

Sie trug Seide.

Nicht aus Eitelkeit.

Sondern, als hätte sie vergessen, dass sie etwas trägt.

Der Stoff schmiegte sich nicht nur an sie –

er war ihr zweiter Atem.

Ein Fließen über Hüften, Schultern, Schlüsselbein,

wie Wasser, das weiß, wohin es gehört.

Wenn sie ging,

klang der Raum anders.

Leiser.

Als würde selbst der Boden unter ihren Schritten lauschen.

Nicht der Schritte wegen –

sondern wegen der Bewegung der Seide.

Sie war kein Kleidungsstück,

sie war ein Gedicht, das ihren Körper kannte

Zeile für Zeile.

Man sah sie nicht.

Man spürte sie.

Wie ein Nachhall auf der Haut,

lange nachdem der Blick sich abgewandt hatte.

Er sah sie oft –

wenn sie nicht hinsah.

Wenn der Stoff sich spannte beim Strecken,

sich kräuselte beim Drehen,

flach anlag beim Atmen.

Dann stellte er sich vor,

dass ihre Haut selbst aus Seide war –

heißer, tiefer, lebendiger.

Er stellte sich vor,

dass er seine Finger nicht mehr zurückzog.

Dass sie es zuließ,

wie der Stoff es tat –

wortlos,

weich,

willig.

Denn Seide stellt keine Fragen.

Sie antwortet mit Stille.

Sie erzählt Geschichten,

nicht mit Lauten,

sondern mit Linien –

dort, wo sie sich kräuselt,

dort, wo sie fällt.

Vielleicht, dachte er,

ist es nicht der Stoff.

Vielleicht ist es das,

was darunter schläft,

was Seide so gefährlich macht.

Dieses leise Versprechen:

Berühre mich,

und du wirst dich selbst verlieren –

nicht an meinen Körper,

sondern an das,

was du zwischen den Fasern findest:

Begierde ohne Lärm.

Lust ohne Sprache.

Liebe,

die schweigt,

weil sie alles schon gesagt hat.

Wenn sie ihn ansah,

tat sie es,

als hätte sie schon gewusst,

was er fühlte.

Die Seide schimmerte auf ihrer Haut

wie Mondlicht auf Wasser –

nicht greifbar,

und doch da.

Er träumte,

wach,

von dem Moment,

wenn der Stoff endlich fiel.

Nicht dramatisch.

Nicht wild.

Sondern mit dieser letzten, leisen Geste,

die nur Seide kennt:

ein Flüstern auf dem Boden,

ein Erzittern der Luft,

ein Aufatmen der Haut.

Dann würde sie nichts mehr tragen –

außer sich selbst.

Und er würde wissen,

dass er nie Seide geliebt hatte,

sondern das,

was sie zu berühren wagte.

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